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Die Verwandlung des Murat K.
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Geld in jeder Beziehung

Die Verwandlung des Murat K.

I.

Ich will dir folgen, mein Prophet,
und tun, was du getan.
Dass ich schon bald verlasse,
der eitlen Zeiten Wahn.

Ich will dir ewig dienen,
dich preisen im Gebet,
des Himmels Lieder hören,
die leis’ die Nacht verweht.

Oh Allah, einz’ger Schöpfer
lass mich nicht länger warten
vergib mir meine SĂĽnden
führ’ mich in deinen Garten.

 

II.

Die schöne Zeit bei den Jama’at al-Tablighi ist um. Ich sitze im Bus zum Flughafen. In zwei Stunden geht es los. Endlich wieder nach Deutschland! Da, die typische Kontrolle. Verrückte Pakistanis!
„Die suchen Terroristen“, flüstert mir der Krawattenmann vom Nebensitz in gebrochenem Deutsch zu. „Amis zahlen fünftausend Dollar für Taliban und bis zwanzigtausend für Al Qaida-Mitglied, egal ob einer ist oder nicht.“
Ich schaue mich um und muss grinsen. Fast der ganze Bus ist voller möglicher Terroristen. Wenn diese Sicherheitsleute wollen, können sie eine Menge Kohle machen.
Dunkelhäutige Männer mit Turban, wild rollende schwarze Augen, verschleierte Frauen, verschlagene Gesichter, verwegen aussehende Gestalten wie aus einem Karl-May-Roman. Manche halten krampfhaft längliche, verschnĂĽrte Pakete auf dem SchoĂź ...

Mir kann ja nichts passieren, denke ich. Ich besitze zwar einen tĂĽrkischen Pass, habe aber unbefristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland, blaue Augen, rote Haare, weiĂźe Haut ...
„Ihren Pass bitte!“ schnauzt mich der Uniformierte an.
Er blättert, schaut mich an, blättert zurück, schaut.
Er riecht nach SchweiĂź.
„Kommen Sie bitte mit.“
Mir wird mulmig. Was will der Typ von mir? Hat mein Aussehen ihn irritiert?
Das Gesicht auf meinem Passbild ist glatt, aber in den drei Monaten Pakistan habe ich mir einen Bart wachsen lassen. Weil ich tun möchte, was die Propheten taten. Alle Propheten trugen Bärte ...

Der Mann bringt mich aufs Polizeirevier. Dort werde ich verhört.
„Was haben Sie in Pakistan gemacht?“
„Ich habe den Koran studiert.“
„Wo haben Sie den Koran studiert?“
„In verschiedenen Koranschulen. Karachi, Islamabad, Lahore, Peshawar.“
Ich hoffe, dass die Aufzählung den Polizisten irgendwie positiv beeindruckt. Schließlich bin ich nicht nur Moslem, sondern auch ein Tourist, der Geld ins Land gebracht hat, der sich für das Land interessiert ...
„Haben Sie Kontakt mit Al-Quaida gehabt?“
„Nein.“
„Dann werden Sie sicher bald wieder freikommen.“
„Was heißt bald?“ Ich schaue auf die Uhr „Mein Flugzeug geht in eineinhalb Stunden.“
„Dieses Flugzeug werden Sie verpassen.“
„Aber meine Mutter erwartet mich, in Deutschland. In Bremen.“
„Nur die Ruhe. Sie werden Ihre Mutter sehen.“

Zu diesem Zeitpunkt weiß ich nicht, dass es viereinhalb Jahre dauern wird, bis ich wieder zu meiner Mutter darf. In dieser Zeit wird der Krieg in Afghanistan ausbrechen, ich werde nach Kandahar und von dort nach Guantanamo Bay gebracht werden. Ich werde stunden-, tage-, wochenlang verhört werden; an den Händen aufgehängt, in kaltes Wasser getaucht, nackt in der Kälte stehengelassen, mit Schlafentzug, Lärm, Lichtüberflutung und Isolationshaft gefoltert. Man wird mich schlagen, mit Elektroschocks quälen. Man wird mir vorwerfen, ich hätte Mohammed Atta und Osama Bin Laden getroffen. Ich sei mitschuldig an den Anschlägen des elften September.
Deutsche Männer, Männer der KSK, werden mich verhören, beschimpfen, meinen Kopf gegen den Boden schlagen und mich treten. Einer der Verhörer in Guantanamo wird mir grinsend verraten, dass die Amerikaner den Pakistanis nicht fünftausend, sondern dreitausend Dollar Kopfgeld für mich bezahlt haben.

Erst nach 1725 Tagen wird man mich, angekettet auf dem Boden einer Militärmaschine, an Händen und Füßen gefesselt, nach Deutschland, zu meiner Mutter bringen.

 


III.

Sie haben mir gesagt,
ich sollte zugeben,
dass ich von Al Qaida bin.
Dass sie mich dann auch in Ruhe lassen wĂĽrden.

Ich habe ihnen erzählt, dass ich,
dass ich nicht lĂĽgen werde.
Ich bin nicht von Al Qaida und
ich werde so was auch nicht sagen.

Sie haben immer wieder zugeschlagen.
Jedes Mal, wenn ich gesagt habe,
ich bin nicht von Al Qaida,
haben sie wieder zugeschlagen und von Neuem gefragt:
Bist du von Al Qaida?

Sie haben mir vielmals Papiere mitgebracht
und mich gezwungen,
dass ich unterschreiben sollte.
Und wenn nicht,
haben sie immer wieder zugeschlagen.
Und ich habe nie,
habe nie gesagt,
dass ich von Al Qaida bin,
habe auch nie
so was unterschrieben.

Sie haben gedroht,
einer von ihnen mit der Waffe.
Sie hielten eine Pump-Gun an meinen Kopf.

Er sagte, dass er mich erschieĂźen wĂĽrde.
Ich habe gelacht.

Alle anderen Gefangenen,
die haben auch gelacht.
Es war einfach ...
ich bin schon fast,
ich bin schon fast tot gewesen.
Falls er mich erschieĂźen wĂĽrde,
wär’s für mich einfach,
wär’s für mich
einfach viel einfacher,
es wär’ einfach ... fertig.

Ich mĂĽsste diesen ganzen Schmerz nicht mehr fĂĽhlen.


IV.

Interviewer: Herr Kauder, ich frage Sie jetzt nicht in Ihrer Rolle als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, sondern als Mensch. Wenn Sie das jetzt hören, dass da jemand fünf Jahre in die Mühlen der Nachrichtendienste und ihrer falschen Einschätzung gekommen ist – ihm sind fünf Jahre seines Lebens geklaut worden – was empfinden Sie da?

Vorsitzender: Sie werden es mir nicht übel nehmen, dass ich mich in meiner Rolle als Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses auch in dieser Rolle bewegen werde. Ein Untersuchungsausschuss eines deutschen Parlamentes ist kein Tribunal gegen amerikanische Behörden. Es hat also keinen Sinn zu fragen, wie ich menschlich dazu stehe. Ich bin Jurist, ich würde gerne den Sachverhalt aufklären.

Interviewer: Wären Sie gerne jetzt einfach nur mal Mensch?

Vorsitzender: Meine menschliche Einstellung dient dem Herrn Kurnaz nicht. Im Gegenteil.

Interviewer: Fällt es Ihnen schwer, diese Rolle beizubehalten?

Vorsitzender: Das fällt mir überhaupt nicht schwer, da habe ich jahrzehntelange Übung als Jurist. Und es ist vielleicht gut, wenn jemand versucht, das objektiv abzuarbeiten und nicht für eine Seite Position ergreift und sich damit den Blick verstellt. Ich werde versuchen, das objektiv abzuarbeiten.


V.

Ich bin hier aufgewachsen.
Ich unterscheide mich nicht von anderen Deutschen.
Ich will wieder heiraten.
Ich will wieder Schiffe bauen.
Ich will eine Familie haben.

Murat Kurnaz
 


Arbeitsbeschreibung


Am 17. Oktober war der Deutschtürke Murat Kurnaz nach seiner Freilassung aus dem amerikanischen Häftlingslager in Guantanamo Bay zu einer Fernsehsendung bei Beckmann eingeladen.

Neunzehnjährig, war er nach Pakistan gereist, um den Koran zu studieren. Obwohl seine Mutter dies nicht unbedingt guthieß, hatte er sich in seiner Bremer Heimat zum strenggläubigen Moslem entwickelt. Das Gedicht unter I. könnte er in seiner persönlichen Sturm-und-Drang-Zeit geschrieben haben.

Seine Verhaftung hätte er als literarische Reportage à la Wallraff wie unter II. schildern können. Ich habe die Fakten mit dichterischer Phantasie ausgeschmückt.
(Nach meinem Empfinden handelt es sich bei dieser Arbeit zwar einerseits um den Versuch, das Hausarbeitsthema zu bewältigen, andererseits meine ich, dass etwas entstanden ist, das auch eigenständig bestehen könnte. Aus diesem Grund habe ich im letzten Absatz die weiteren Geschehnisse zusammengefasst.

Unter III. habe ich einen Teil des von Kurnaz in der Fernsehsendung gesprochenen Textes wörtlich transkribiert, ohne jede auch nur kleine Änderung und mit allen in freier Rede typischen sprachlichen Ungenauigkeiten. Meine Gestaltung besteht lediglich im Satz.
Ich habe mich hierzu anregen lassen durch das Gedicht von Erich Fried (Tiermarkt/Ankauf), das einen Anzeigentext lediglich setzerisch verändert.

IV. entstand aus einem wörtlich transkribierten Dialog aus der Fernsehsendung. Er fand statt zwischen Beckmann und dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses Siegfried Kauder. Ich habe ihn lediglich gekürzt und unwesentlich editiert. Er könnte in dieser Form aus einem Theaterstück der 60er Jahre stammen.

V. Dies sind Murat Kurnaz’ letzte Worte bei Beckmann. Sie wurden wörtlich in der Tageszeitung „taz“ vom 18.10.2006 abgedruckt.
 

 

 Es handelt sich um das Hausarbeitsthema zu „Überblick ĂĽber die deutsche Literaturgeschichte“ nach dem Seminar mit Prof. JĂĽrgen Wolff im zweiten Semester meines Studiums “Kreatives Schreiben”. Wir sollten ein beliebiges heutiges Thema literarisch im Stil einer bestimmten Epoche der Literaturgeschichte behandeln. Mir machte das so viel SpaĂź, dass ich versuchte, gleich fĂĽnf verschiedene Stilrichtungen aus verschiedenen Zeiten nachzuahmen.


 

Wilfried von Manstein (2006)
 

 

 

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